
Als Jean-Kévin Augustin in in die Bundesliga wechselte, kam er als Versprechen. Er war einer dieser jungen, aufregenden Offensivspieler aus der Talentschmiede von Paris Saint-Germain, wie sie gerade in allen Ligen Europas für Aufsehen sorgten. Dazu amtierender U19-Europameister, der für Frankreich mit Kylian Mbappé, Kingsley Coman und Ousmane Dembélé zusammengespielt hatte. Als „Zukunft unseres Vereins“, hatte PSG-Trainer Unai Emery den Angreifer sogar geadelt. Dass der gleiche Spieler nur wenige Jahre später zum Millionengrab für einen englischen Zweitligisten werden sollte, konnte da noch niemand ahnen.
Zur Saison 2017/18 sicherte sich RB Leipzig die Dienste des Franzosen. Und der spielte groß auf: mit Pirouetten, atemberaubenden Tempodribblings und einer fantastischen Ballbehandlung. Mit 18 Scorerpunkten aus 36 Pflichtspielen wurde er auf Anhieb zur tragenden Säule bei den Sachsen – nur Timo Werner war damals noch besser. „Ich bin sehr froh, dass er hier ist“, lobte Trainer Ralph Hasenhüttl damals. „Ich traue ihm alles zu!“ Doch in seiner zweiten Saison stagnierte die Entwicklung des Hochbegabten. Immer häufiger fand er sich auf der Ersatzbank wieder oder stand gar nicht im Kader. „Er ist ein Spieler, der enormes Potenzial hat, aber es noch zu selten abruft“, bemerkte Ralf Rangnick. „Da erwarte ich mir in der Rückrunde eine deutliche Steigerung. Das habe ich ihm auch klar gesagt.“
Auf der Suche nach Spielzeit folgte eine Leihe zur AS Monaco, dann die Rückkehr nach Leipzig. Doch dort sahen sich die Verantwortlichen im Winter 2019 bereits nach Interessenten für den aus dem Tritt gekommenen Stürmer um. In England wurden sie fündig.
„Die schlechteste Verpflichtung der Welt“
Leeds United stand zu diesem Zeitpunkt auf dem ersten Tabellenplatz der zweiten englischen Liga, punktgleich mit West Brom und mit einem komfortablen Neun-Punkte-Polster vor Rang drei. Hinter den Kulissen bastelte die Vereinsführung bereits am Kader für die nächste Saison in der Premier League. Und der talentierte Jean-Kévin Augustin passte perfekt ins Profil.
Die Verantwortlichen beider Vereine einigten sich auf ein Leihgeschäft über ein halbes Jahr. Im wahrscheinlichen Fall eines Aufstiegs sollte dann eine Kaufpflicht über 21 Millionen Euro greifen – was Augustin zum damals drittteuersten Transfer der Vereinsgeschichte gemacht hätte. Sollte Leeds den Aufstieg doch noch verspielen, würde Augustin nach Leipzig zurückkehren. Frischen Wind konnte er auf der Insel aber nicht erzeugen: Gerade einmal drei Spiele machte er für seinen neuen Verein. Gegen Nottingham, Brentfort und Brisol – allesamt als Einwechselspieler. Und dann kam Corona.
Wie in fast allen Teilen Europas ruhte der Ball auch in der Championship für etwa drei Monate. Erst Ende Juli 2020 spielte Leeds sein letztes Saisonspiel – einen Monat später als geplant – und stieg tatsächlich als Meister in die Premier League auf. Doch Augustins Leihvertrag war da bereits seit fast einem Monat ausgelaufen. Unter dieser Argumentation verweigerte Leeds auch die Zahlung der 21 Millionen Euro an Leipzig – schließlich war der Verein beim Ende des Vertrags (noch) nicht aufgestiegen. Der ehemalige Leeds-Stürmer und heutige Experte Noel Whelan hielt fest: „Er ist ein Spieler, der nicht fit ist und Vertrauens- und Gewichtsprobleme hat. Es wäre die schlechteste Verpflichtung der Welt.“
Es folgte ein Rechtsstreit zwischen Leeds und Leipzig, der sich über mehr als zwei Jahre zog – und in dem die FIFA schließlich zugunsten der Leipziger entschied. Nach einer außergerichtlichen Einigung überwies der Klub satte 18 Millionen Euro auf das Konto der Sachsen. Selbst in England ziemlich viel Geld für einen Spieler, der nur drei mal das Vereinstrikot getragen hat. Und es sollte noch derber für die Briten kommen.
Das Ende vom Leeds
Während sich beide Vereine noch vor Gericht stritten, war Jean-Kévin Augustin ablösefrei zum FC Nantes gewechselt. Mit dem Kapitel Leeds hatte er aber noch nicht abgeschlossen: Er reichte Klage gegen seinen Ex-Klub ein und warf den Engländern Vertragsbruch vor – weil diese ihn trotz des Aufstiegs nicht verpflichtet hatten. Und er forderte die Ausbezahlung der vollen fünf Jahresgehälter, die ihm in der Premier League gewinkt hätten: insgesamt nicht weniger als 27,9 Millionen Euro.
Wieder ging der Fall vor die FIFA und wieder hatte Leeds das Nachsehen. Und der Transfer von Jean-Kévin Augustin entwickelte sich endgültig zum Albtraum für die Briten. Die müssen jetzt insgesamt knapp 46 Millionen Euro zahlen. Für einen Spieler, der für den Verein genau 51 Minuten Championship-Fußball gespielt hat. Leeds United legte nun Berufung gegen die Entscheidung der FIFA ein.
Und Jean-Kévin Augustin? Der erkrankte in seiner Zeit bei Nantes schwer an Long Covid, was ihn ein ganzes Jahr vom Fußballspielen abhielt. Nach nur zehn Spielen in der Ligue 1 und mittlerweile zweieinhalb Jahren ohne Torerfolg im Profifußball schloss sich der Stürmer im Sommer 2022 dem FC Basel an. „Unsere Aufgabe ist es, ihn wieder auf das Niveau zu bringen, auf dem er einmal war“, sagte Trainer Alex Frei damals über seinen Neuzugang. Doch die Rückkehr zu alter Stärke verläuft schleppend. Zwölf Mal kam Augustin bisher in der Schweizer Liga zum Einsatz. Nur in drei Parteien spielte er von Beginn an. Immerhin seine Torflaute konnte er inzwischen beenden und steht aktuell bei drei Treffern und einer Vorlage. Doch vom einstigen Versprechen ist nicht mehr viel geblieben. Der aktuelle Marktwert des immer noch erst 25-Jährigen: 1,3 Millionen Euro. Ein Bruchteil der Summe, die ihm Leeds United wohl bald überweisen muss.
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